William Becher wurde 1898 in Dresden geboren, wuchs in Zürich auf und lebte von 1918 bis 1969 in Lindau im Bodensee, wo er im Jahre 1920 die Färberstochter Hedwig Meyer heiratete. Mit ihr zusammen hatte er vier Kinder: Lia, Willy, Hedi und Arno. Eine glückliche Ehe. 1946 wurde er nochmals Vater. Margot wurde als jüngste Tochter geboren. Bei seinem Tod im Jahr 1969 hat er seinen Kindern mehrere hundert Gedichte, ein gutes Dutzend Novellen, zwei Drehbücher, einige Hörstücke und einen Roman hinterlassen. Wenig davon fand jedoch den Weg in die breite Öffentlichkeit.
Interview-Ausschnitte mit seinen Kindern aus dem Jahr 1998
Lia Wonka-Becher, älteste Tochter
Als junger Mensch hat er Diphtherie gehabt. Und dann kommt bei Papa halt die Depressionen dazu. Und der Papa war halt, wie sagt man da – ein besonderer Typ, den man in Lindau gar nicht gerne gesehen hat. Mit langen Haaren und ein Künstlertyp, so etwas hat gar nicht zu Lindau gepasst.
Er hat gewußt daß er seine Feinde hat und das waren ganz ekelhafte Lindauer, die den Papa einfach nicht leiden konnten. Sie haben einfach irgendeinen Grund gebraucht, dass er eingesperrt wird. Der Papa ist ziemlich gut behandelt worden er hat Bleistift und Papier bekommen er konnte schreiben, das war eine riesengroße Sache, daß er schreiben wurde.
Durch die Kriegszeit war es ihm ja verboten, etwas herauszugeben. Er durfte ja eigentlich nicht mal Hermann Hesse schreiben, der ja radikaler war und der dann in die Schweiz gegangen ist. Gedichte war ja ganz schwer, höchstens Einzelgedichte, oder beim Rundfunk, aber er hat sich da viel Mühe gemacht und hie und da und da ist er doch im Österreichischen, Stuttgarter, Saarbrückener oder so mal dabeigewesen.
Gedichtet hat er vor allem bei Musik oder früher dann im Bett während der Nacht oder dem Morgen zu, wo der Papa dann wach gelegen ist. Und dann ist er Fischen gegangen. Er ist spät ins Bett gegangen mit Schlafpulver, sonst war’s schwer. Der Papa ist oft im guten Zimmer bis in die Nacht hinein gesessen und ich habe dann die Gedichte abgeschrieben – deshalb bin ich auch zum Nachtmensch geworden. Und dann waren wir froh, wenn er ein paar Stunden geschlafen hat.
Die Bilder haben wir dann halt verschenkt und dafür dann ein Weihnachtsgeschenk bekommen oder so etwas. An Weihnachten waren wir froh wenn wir zwanzig Mark bekommen haben von der Schweiz oder irgendwo weil eben wir waren vier Kinder und es war noch kein Kuchen da auf dem Weihnachtstisch. Und dann haben wir uns ein schönes Weihnachten gemacht….
In kann nur sagen, für uns war er ein guter Vater ein wunderbarer Vater auf jeden Fall. Wirklich schön.
Hedi Grundmann, Tochter
Da ist leider die Haupterinnerung, dass er gelegen ist. Soviel ich weiß ist es eine Diphterie gewesen, die eine Herzmuskelschwäche hervorgerufen hat… Es ist bei ihm vielleicht auch Angst mit dazugekommen. Ich glaube er hat, wie wir klein war, todesangst gehabt, und ist dann oft liegengeblieben – wenn ich so zurückdenke. Aus allen Gedichten hörst es doch…..
Wenn er geschrieben hat, war er immer ganz in sich versunken in der kleinen Stube. Dann hat er geschrieben, dann ist es gegangen wie im Fluß. Die Lia hat ihm den Füllfederhalter gegeben und dann dieses große Maunskriptenpapier, das er immer gehabt hat, und es ist so schnell gegangen, daß ich mir damals schon gedacht habe, wo nimmt er dasher, wenn Mama draußen wäscht, da riecht es nach Salmiakgeist, die Fenster sind angelaufen, das Licht ist nicht gut. Aber er konnte malen und schreiben – mittendrin.
Mama war wahnsinnig stark und was sie sostark gemacht hat – sie war neuen Jahre älter, und sie hat sich vielleicht für den Papa entschieden mit dem Bewußtsein, damit muß ich rechnen. Er hatte eine Künstlermähne – einfach Außenseiter, alleine durch die Erscheinung. Das war doch schon komsich ein Mann mit einer Baskenmütze.
Er hat uns das Leben mit der Politik schwer gemacht, weil er wir halt schon bekannt waren und dann hat er noch Freunde gehabt, die zu uns gekommen sind. Wir waren schon alt genug, daß wir wußten, daß das nicht gut für uns ist, wenn die bei uns waren. Das hab ich gar nicht mögen, und Mama hats auch nicht mögen.
Ich glaube er hätte sein ganzes Leben nicht ausgehalten, wenn er nicht die Korrespondenz gehabt hätte und ein paar Menschen so wie Hermann Hesse und Kellermann … Also das war ganz wunderbar, wenn ein Brief von Ricarda Huch, Hesse und Gertrude von Le Fort kam … Er hätte seinesgleichen gebraucht, da war nur die Mama und die war überlastet.
Feste und die Lustigkeit seiner beiden Schwestern, wenn die Bude voll war, haben ihn inspiriert – da ist er zu Hochformt aufgelaufen. Hat aber auch wider einfach aus dem Raum gehen können und eine Stunde im anderen Zimmer sitzen können – dann wollte er wieder zu sich kommen, und dann ist er wieder gekommen und war wieder da.
Er war sehr präsent er hat jeden anderen an die Wand gedrückt – mit nichts – er war einfach da, man hätte niemand anderen mehr beachtet.
Willy Becher, Sohn
Er hat sich mit Shakespeare sehr auseinandergesetzt, war sehr belesen, hat alle damals namhaften Dichter gelesen. Und an seinem Geburtstag hat er sich immer Bücher schenken lassen….. überall war er zu Hause wo die Kunst zu Hause war. ..
Sein Milieu war immer Nachts. Da hat er gedichtet, wenn er eigentlich schon schlaftrunken war, aber in der Nacht hat er dann die Gedichte niedergeschrieben.
Eswar natürlich ein Freudentag, wenn von Hermann Hesse oder sonst einem Künstler ein Brief zu ihm gekommen ist. Den hat er erst einmal liegengelassen bevor er ihn aufgemacht hat.
Er durfte ja, weil e s von der Reichskulturkammer verboten war, nicht mehr malen, nur auf Weihnachten zu hat er dann Bilder gemalt. Das war ja das Schlimmste, weil Gedichte haben die Leute ja sowieso nicht gekauft, aber mit der Malerei hätte er verdienen können, aber das war ihm ja verboten und da hatte er kein Bild um irgendeinen Preis verkaufen können. Er hat dann gemalt und dann auf Weihnachten an Bekannte geschickt und wenn sie dann was zurückgeschickt haben, war es schön.
Das Geschäftliche hat meine Mutter übernommen, privat hat sie gereinigt und gebügelt, Sie hat eigentlich die finanziellen Dinge geregelt, er wollte vom Geld nichts wissen, er wollte nur, dass alles in Ordnung war und jeder was hat – aber die Kunst war ihm wichtiger als Geld verdienen.
Arno Becher, 1930 – 2014
Er hat mich eigentlich nicht wie für einen Vater üblich erzogen. Er war von Anfang an fast immer im Bett gelegen und ich war viel auf der Straße. Ich bin halt zum Essen heimgekommen und irgendwie war das für mich schon ein bisschen schwierig, wenn der alte Mann dort immer im Bett lag. Und wenn er dann wieder eine Herzattacke oder eine Nierenattacke hatte, dann hab ich mich halt wieder aus dem Staub gemacht.
In den Kinderjahren kenne ich meinen Vater nur im Bett liegend, ganz selten, daß er mal angezogen war, im besten Fall ist er dann mal vors Haus aber weiter ist er nicht gekommen. Vor meiner Kindheit als der Willy klein war, da hat er wohl gebastelt und wunderschöne Burgen gebaut, ich kenn ihn aber als Kind nur krank.
Das Dichten an sich habe ich ganz selten mitgekriegt, weil es immer nur nachts war. Am anderen Morgen hat er das Gedicht dann der Lia in die Maschine diktiert. Wie er dann seinen Roman geschrieben hat, das hat er dann abends gemacht, da ist er dagesessen und hat geschrieben. Beim Malen, da ist er dann vor seinem Bett gestanden vor seiner Staffelei und hat gemalt und war dann guter Dinge …
Zum meiner Mutter, das war im künstlerischen Sinn eine ganz enge Beziehung, eine Stütze war es wahrscheinlich nicht. Wenn meine Mutter aktiver gewesen wäre, dann wär er vielleicht auch nach außen besser aufgetreten, Stütze also nicht aber es war eine ganz ganz enge Beziehung.
Wer genug Geld hat zum Leben, der stellt sich oft die Armut der Anderen schlimmer vor, als sie ist. Wir hatten oft nicht genügend zum Essen, da hat es manchmal schon Engpässe gegeben. Es war aber für jedes Kind klar, wenn mal kein Geld da ist, dann gibt’s halt weniger, kein Problem. Und wenn jemand anderes was besonderes hatte, dann hat man das bestaunt. Es war aber klar, daß man das selber nie kriegen kann. Es war als Kind schon klar, das geht und das geht nicht und dadurch war das nicht so problematisch.
Mein Vater hat in einer anderen Welt gelebt, er hat in seiner Kunst gelebt und hatte nicht so den Realismus, den ein normaler Vater hat. Die Familienfeiern waren was ganz besonderes, Weihnachten vor allem, wenn die Bechersehe Sippe zusammengekommen ist und da konnte man schon feiern, da hat man lange darauf hingespart und dann hat man jede Streichholzschachtel verpackt, so daß der Tisch dann immer über und über mit Päckchen übersät war.
Das war wichtig für ihn. Seine Familie, seine Sippe war für ihn schon wichtig. Und die Feiern hat er schon genossen. Und ein Päckchen das schön verpackt war, das hat er an Weihnachten nicht geöffnet. Das lag erstmal zwei, drei Tage auf dem Klavier und wurde bestaunt und dann irgendwann geöffnet.
Die Hesse-Briefe und auch die von Kellermann und den anderen waren sicherlich das höchste, was er erleben konnte. Da war der Tag dann sehr gut, oder wenn die Lindauer oder Frankfurter Zeitung einmal was gedruckt haben dann waren das hohe Feiertage …
Dichten war für ihn wichtiger als Malen. Er hat gern gemalt und ein Tag, wo er gemalt hat, das war ein Zeichen, daß er gesundheitlich gut drauf war, da war immer ein guter Tag.
Meine Reaktion auf seine Verhaftung war eigentlich nicht so große Verwunderung, denn er ist schon Wochen vorher von einem Polizist auf der Straße angesprochen worden, der gesagt hat „Becher, Sie stehen mit einem Fuß im Gefängnis“. Deshalb waren wir nicht verwundert, weil Leute wie er, wir wussten ja, daß Leute die so dachten wie er, alle schon abgeholt waren und daß er einer der wenigen war, die noch da waren. Deswegen also keien Verwunderung. Wie er vom Lindauer Gefängnis abgeholt wurde, da hat er meiner Mutter Zeichen gegeben und hat so gemacht fünf Jahre. Da habe ich mir schon gedacht, warum er so optimistisch war, das war damals nicht so üblich. Doch dann hat sich ja glücklicherweise schnell rausgestellt, daß das, was man ihm angekreidet hat, nicht haltbar war, und man hat ihn dann einen Tag vor Weihnachten entlassen. Wir glaubten jetzt bricht er zusammen, aber er ist an dieser Sache gewachsen, er hat nicht nachgegeben.
Es war ein Künstler und zum anderem auch dadurch, daß er wie ein Künstler aussah, gab es viele Frauen, die auf solche Typen anspringen. Wenn er am Seehafen gesessen ist. Er brauchte nur auf der Bank sitzen. Er hatte also nicht nur keine Schwierigkeiten, sondern er hätte also jede Menge Möglichkeiten gehabt.
Margot, jüngste Tochter
Er war immer da und hat mich auf den Schultern herumgetragen, hat mir meine Eise organisiert ohne Geld, war immer zugänglich. Die ersten Jahre war er ja jeden Tag bei meiner Mutter in der Wohnung gewesen und hat mich in den Schlaf gewiegt …
Er hat halt Frauen gebraucht – interessante romantische Frauen. Es waren nur Blicke und dann war der Tag schon gerettet … Sehnsucht nach der Weiblichkeit. Mit meiner Mutter das war schon was Handfestes.
Er hat gewartet und erwartet daß er entdeckt wird. Ich glaube gar nicht mal, daß er berühmt werden wollte, aber um ihn herum eine gesunde Anerkennung, ganz normale Anerkennung.
Aber heute ist mir schon klar, daß die Leute in Lindau ihn gemieden haben, sie haben sich gerächt durch die politische Geschichte nach dem Krieg, weil mit den Franzosen war er ja kurz ein großer Mann in Lindau. Weil er ja unter Hitler im Gefägnis war, haben die Franzosen Lindau besetzt und haben ihn geholt und er mußte alle Nazis zeigen … und dann in Lindau weiterleben.
Ich glaube die größte Vertraute Person seines Lebens war die Hedwig [seine Frau]. Er hat eigentlich immer mit der Hedwig geredet und zur Hedwig alles gesagt, die hat alles adsorbiert. Die Hedwig wars.